Anna Tsing: „Alle Formen der Wiederverbindung zwischen Mensch und Erde sind wichtig, auch wenn sie auf einem Dach stattfinden“

Schwarzes Meer, 1989. Überfischung und die Einleitung von Abwässern durch intensive Landwirtschaft reduzieren den Fischbestand drastisch. Eingeführt von internationalen Handelsschiffen, die Wasser von anderswo einleiten, tritt eine Quallenart schließlich an ihre Stelle. Erst die ebenso zufällige Ankunft einer weiteren Qualle, die sich von den vorherigen ernährt, wird dem Lebensraum eine gewisse Vielfalt zurückgeben.
Für die amerikanische Anthropologin Anna Tsing, die 2017 in Frankreich mit ihrem Buch „Der Pilz am Ende der Welt: Über die Möglichkeit, in den Ruinen des Kapitalismus zu leben“ (La Découverte) Berühmtheit erlangte, handelt es sich bei dieser Fallstudie um ein sogenanntes „Patch“ : ein relativ kleines Gebiet (das Schwarze Meer bildet eine Ausnahme), das Schauplatz einer ökologischen Krise oder gar eines Zusammenbruchs ist. Die Destabilisierung von Ökosystemen wird im Allgemeinen durch zwei Elemente ausgelöst. Eins ist die zufällige Ankunft einer Tier- oder Pflanzenart – sogenannter „verwilderter“ Arten. Das andere ist die Präsenz der Infrastruktur der kapitalistischen Welt: Handelsschiffe, Staudämme und andere intensive Plantagen verändern Landschaften und bringen das natürliche Gleichgewicht durcheinander.
In „Unsere neue Natur. Feldführer zum Anthropozän“ (Seuil), dem neuesten Buch, das sie mit ihren drei Kolleginnen Jennifer Deger, Alder Keleman Saxena und Feifei Zhou veröffentlicht hat, übersetzt von Philippe Pignarre und Isabelle Stengers, Anna Tsing de
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